Kurzgeschichte zur Willow Ranch
„Rosie, was macht dieser Hund auf meinem Sofa?“ Mist, Rosie wischt sich hastig den Zahncremeschaum vom Mund. Sie hatte Hazel doch gesagt, sie soll in dem kleinen Gästezimmer bleiben, bis Onkel Eric aus dem Haus war. Das würde Ärger geben. Die junge Frau trat aus dem Badezimmer und sah, dass sich ihre Bloodhound Hündin auf dem alten Ledersofa der Länge nach ausgestreckt hatte. Eines der Schlappohren bedeckte ihre Augen und sie schnarchte selig. Rosie gab sich alle Mühe, bei diesem Anblick einen betretenen Gesichtsausdruck aufzusetzen.
„Tut mir leid, Onkelchen. Ich weiß du hast gesagt, sie soll draußen bleiben. Aber letzte Nacht waren minus 25 Grad gemeldet und Hazel Mae ist es nicht gewohnt …“
„Erspare mir die Ausreden“, fuhr Eric ihr ins Wort. „Dein Hund ist nur ein Weichei, weil du ihr alles durchgehen lässt. Diese Rasse sind Spürhunde, die müssen draußen gehalten werden, jederzeit bereit.“ Rosie verdrehte kurz die Augen. Sie hatte Eric doch erklärt, dass sie Hazel halbverhungert von einem Puma-Jäger gerettet hatte. Der Idiot hatte auch so dumme Sprüche von sich gegeben, wie ihr Onkel. Aber Rosie wusste, dass Eric nie ein Tier quälen würde. Hazel ließ ein besonders lautes Schnarchgeräusch hören und Rosie musste grinsen. Eric schnaubte und machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen. Dann öffnete er die Kühlschranktür. „Kannst du einige Besorgungen machen? Ich will heute Nachmittag zu meinen Pelzfallen aufbrechen und ein paar Tage in der Wildnis sein. Wenn ich zurückkomme, hat sich deine Hazel besser an das Leben draußen gewöhnt.“
Rosie seufzte, ging zu dem Hund und ergriff das Halsband. „Aufwachen Hazel, lass uns in die Stadt fahren und einkaufen.“
Auf dem Weg ins Dorf ließ Rosie ihren Blick über die schneebedeckte Landschaft schweifen. Es war Dezember, kurz vor Weihnachten, und die Sonne stand frostig am blauen Himmel. Vor zwei Wochen hatte sie ihren Freund Dave verlassen und damit auch ihren Job in einem Reitstall verloren. Der Inhaber war Dave’s Vater und mit dem Ende der Beziehung kam der Rausschmiss aus der gemeinsamen Wohnung über der Sattelkammer und die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses. Rosie bereute nichts, auch wenn ihre Mutter ihr gehörig den Kopf gewaschen hatte. „Bist du wahnsinnig, Kind? Frauen wie uns liegt weder die Welt noch die Männer zu Füßen und Dave war ein Hauptgewinn. Wie kannst du das alles hinschmeißen?“
Rosie konnte nicht verstehen, was ihre Mutter an „er hat mich mit wenigstens drei Frauen betrogen“ nicht verstanden hatte. Zum Glück standen Rosies drei Brüder hinter hier und hätten Dave am liebsten mit ihren Fäusten die Meinung gesagt.
Rosie erreichte den Gemischtwarenladen im Dorf und parkte. „Du bist brav und wartest, in Ordnung?“ sie strich Hazel über den Kopf. „Ich brauche nicht zu lange.“
Wie einige andere, ließ Rosie den Motor ihres alten Trucks laufen, während sie einkaufen ging. Sie tat es nicht gern, aber sobald die Temperatur unter minus zwanzig Grad fiel, tat sich die Karre schwer, wieder anzuspringen. Außerdem würde es Hazel so nicht kalt werden. Beim Öffnen der Eingangstür erklangen einige Glocken, die an einer Schnur oberhalb der Tür angebracht waren. Rosie holte die Liste heraus, die Eric ihr gegeben hatte. Sie war neben einem jüngeren Mann in einer Camouflage Jacke, die einzige Kundin im Laden, nahm sich einen der Gitterkörbe und legte die Sachen hinein. An der Kasse sah sie, dass die Schokolade, die ihr Onkel so gern hatte, im Angebot war. Lächelnd legte sie drei Tafeln zu ihren Einkäufen. Nach dem ständigen Streit mit ihrer Mutter hatte Rosie nicht länger zu Hause bleiben wollen und war kurzerhand zu Eric gefahren. Ihr Onkel hatte zunächst gezögert, sie aber dann in seinem Gästezimmer einziehen lassen. Erics Haus war mehr eine Bretterbude, zumindest machte es von außen den Eindruck. Aber das Gästezimmer war sehr gemütlich und ein Freund ihres Onkels hatte bis vor Kurzem dort gewohnt. Rosie war Eric dankbar, dass sie bei ihm Unterschlupf gefunden hatte, aber von Anfang an war Hazel ein Problem für ihren Onkel gewesen. Es musste doch eine Möglichkeit geben, sein altes Pelzjägerherz zu erweichen, überlegte Rosie.
„Du bist doch die Nichte von Eric, oder?“
Die Frage der Kassiererin riss Rosie aus ihren Gedanken, „Ähm, ja, Rosie Laforge“, stellte sie sich vor. Die ältere Frau lächelte freundlich und begann, die Einkäufe in Tüten zu verpacken. Sie beäugte die Duftkerzen und den kleinen Weihnachtsstern, den Rosie an ihr Fenster im Gästezimmer hängen wollte. „Wurde auch Zeit, dass jemand die Hütte ein wenig heimelig macht. Vor allem jetzt in der Weihnachtszeit.“
„Naja, ich bin mir nicht sicher, wie die Kerzen bei meinem Onkel ankommen werden, aber …“
„Mach dir mal keine Gedanken, Kindchen. Ich habe vor ein paar Wochen Feuerholz bei ihm vorbeigebracht und wir haben einen Kaffee zusammen getrunken. Da meinte Eric, ob ich ihm ein paar Tipps geben könnte, um die Hütte wohnlicher zu gestalten.“
Rosie horchte auf und sah die Frau überrascht an. „Ach, wirklich? Er ist für ein paar Tage in den Bergen und ich möchte ihm zeigen, wie dankbar ich bin, dass ich bei ihm wohnen darf.“
„Wenn ich du wäre, würde ich ihn mit einem für weihnachtlich geschmücktes Haus überraschen.“ In dem Moment hörte Rosie das langgezogene Bellen von Hazel.
„Oh, das ist mein Hund“, sagte sie, als sie den verwunderten Blick der Verkäuferin sah. „Wo bekomme ich denn mehr Weihnachtsschmuck, Lichterketten und so?“
„Da musst du nach Innisfail fürchte ich. Viel Spaß beim Schmücken.“
Erneut erklang Hazels Bellen. Hastig bezahlte Rosie, nahm die Einkaufstüten und eilte nach draußen. Sie sah einen älteren Mann, der nahe am Auto stand und Hazel musterte. Rosies Hündin, die sich wohl an ihren Vorbesitzer erinnerte, knurrte und bellte jetzt wie verrückt. Rosie ging zu ihrem Truck und warf dem Mann einen missbilligten Blick zu. „Kann ich dir helfen?“
„Ist das dein Hund?“, fragte er.
„Ja und er mag es nicht, wenn jemand zu nahe an meinem Truck steht“, sagte Rosie und drängte sich an ihm vorbei, um die Einkäufe auf den Beifahrersitz zu stellen.
„Das ist doch ein Bloodhound, oder?“
Rosie nickte nur. Sie hatte keine Lust, auf ein Gespräch. Gleich würde er sicher fragen, ob Hazel für die Puma-Jagd ausgebildet war. Nur widerwillig erinnerte sie sich an die Begegnung mit einem Jäger, der ihr Hazel unbedingt abkaufen wollte. Ein Bloodhound gehöre in die richtigen Hände und es wäre eine Schande die Instinkte dieser Hunde nicht auszunutzen. „Sorry, ich muss jetzt los“, sagte sie daher und versuchte das ungute Gefühl, das ihren Rücken hoch kroch, zu ignorieren. Aus dem Laden trat gerade der junge Mann und kam direkt auf sie zu. Na, toll, jetzt würde der sicher auch noch seinen Senf dazugeben wollen.
„Warten sie mal, Miss“, sagte er und nickte dem älteren Mann zu.
„Ich muss wirklich los“, erwiderte Rosie und sah zu Hazel, die auf der Beifahrerseite saß und sie erwartungsvoll ansah.
„Ich habe das Gespräch im Laden zufällig mitbekommen und könnte eine Weihnachtstanne vorbeibringen, wenn du willst. Ich heiße übrigens Doug“, sagte der junge Mann.
Überrascht sah Rosie ihn an.
„Ach, ihr kennt euch?“ fragte der ältere Mann.
„Das ist Erics Nichte“, erklärte Doug. „Sie wohnt bei ihm.“
„Ach, ja, er hat so etwas erwähnt. Wenn er seine Bretterbude weihnachtlich schmücken will, scheint ihm die Gesellschaft richtig gutzutun.“
Rosie verkniff sich die Bemerkung, dass die Dekorations-Idee eigentlich von ihr stammte. Doug lächelte sie freundlich an und die Vorstellung, einen Weihnachtsbaum zu haben, gefiel ihr.
„Das wäre wirklich nett. Wann kannst du ihn vorbeibringen. Und wie viel kostet der Baum denn?“
„Fünfundzwanzig Dollar inklusive Lieferung morgen Nachmittag.“
„Abgemacht“, sagt Rosie und schüttelte Dougs Hand.
„Dann sehen wir uns morgen. Dad und ich müssen los, schönen Tag noch.“
Der ältere Mann schenkte ihr ein schiefes Grinsen. „Sagen sie dem alten Kauz einen Gruß. Und schönen Hund haben sie da.“
„Mach ich und danke.“ Rosie winkte, stieg in ihren Truck ein und sah, wie die beiden Männer in Marys Diner verschwanden.
Lächelnd startet sie den Motor. Wie nett die Menschen hier waren, dachte sie und fuhr aus dem Dorf, das ihr immer besser gefiel.
Nachdem Eric gestern Nachmittag zu seiner Trapper Hütte aufgebrochen war, um die Fallen auf der Route über die nächsten Tage hinweg zu kontrollieren, hatte Rosie in Innisfail Lichterketten und ein paar andere Dinge gekauft. Mit Hazel dicht auf den Fersen ging sie in den Geräteschuppen hinter Erics Haus und holte eine alte Holzleiter. Meine Güte war das alte Ding schwer, dachte Rosie und schleppte die Leiter zum Haus. Aber sie wunderte sich nicht, dass ihr Onkel keine Aluminium Leiter hatte. Die Alte tut es doch, würde er sagen, wenn sie sich darüber äußern würde. Mit einem Stöhnen richtete sie die Leiter auf und lehnte sie gegen die Regenrinne am Hausdach. Dann nahm sie die Lichterkette und kletterte damit die Sprossen hinauf. Hazel setzte sich am Fuß der Leiter hin und schaute irgendwie besorgt zu Rosie hoch.
„Mach dir keine Sorgen, ich habe alles im Griff.“
Rosie lächelte ihrem Hund zu. Sie wusste nicht genau, warum Hazel nicht wie andere Bloodhounds immer einer neuen Spur nachging, sondern stets in ihrer Nähe blieb. Über das eigentümliche Verhalten hatten sich andere Bloodhound Besitzer, mit denen Rosie geredet hatte, immer gewundert. Die meisten ließen ihre Hunde nie unangeleint nach draußen und hatten einen eingezäunten Auslauf für ihre Hunde. Rosie vermutete, dass Hazel sie als Retterin ansah und ihre Treue der Dank an sie war. Mit einer Hand griff Rosie eine der Zedernholz-Dachplatten und versuchte den Anfang der Lichterkette mit einem Clip zu befestigen. In diesem Moment hörte sie ein näher kommendes Auto und wandte den Kopf. Ein antiker roter Ford Truck mit einer Tanne fuhr auf den Hof. Eine Szene wie aus einem dieser kitschigen Hallmark Weihnachtsfilmen dachte Rosie und winkte Doug mit einer Hand zu. Auf einmal löste sich die Dachplatte und Rosie verlor das Gleichgewicht. Mit einem Schrei landete sie im Schnee. Hazel sprang erschrocken um sie herum. Rosie richtete sich auf und sah, wie Doug besorgt auf sie hinab blickte.
„Hast du dir wehgetan?“
Hattest du gestern auch so schöne braune Augen, fragte sich Rosie, blinzelte und musste wieder an eine Filmszene aus einem Weihnachtsfilm denken. Reiß dich zusammen, schalt sie sich, ließ sich aufhelfen und klopfte den Schnee von sich ab.
„Danke, es geht schon“, sagte sie.
„Ist wirklich alles OK?“
Rosie nickte und deutete auf den roten Truck. „Ist das ein Ford F 100 aus den Fünfzigern?“
„Ja, 1955. Du kennst dich mit Autos aus?“
„Ich habe drei ältere Brüder, da wurde es mir quasi in die Wiege gelegt.“
Doug lachte und machte sich daran, das Seil, mit dem er die Tanne festgebunden hatte, zu lösen. „Wenn du mir mit dem Baum hilfst, helfe ich dir nachher mit der Lichterkette“, schlug er vor.
„Einverstanden.“
Gemeinsam trugen sie die Tanne ins Haus und stellten den Baum in den Halter, den Rosie vorhin gekauft hatte. Doug warf einen Blick auf die drei Tüten, die voll mit Weihnachtsschmuck waren. „Übertreibst du nicht ein wenig?“
„Habe dich nicht nach deiner Meinung gefragt, oder? Außerdem hast du mir den Baum ja quasi aufgedrängt und da musste ich doch Deko kaufen.“
Doug lachte, zuckte mit den Schultern und ging wieder hinaus.
Eine halbe Stunde später hatten sie auch die letzte Lichterkette angebracht und Rosie steckte den Stecker ein. Bunt erstrahlten die winzigen Glühbirnen und brachten auch den Schnee rund ums Haus zum Glitzern.
„Danke, ohne dich, hätte ich das nicht so schnell hinbekommen“, sagte Rosie zu Doug.
„Gern geschehen. Hoffe deinem Onkel gefällt es.“
„Ich auch“, sagte Rosie. „Wohnst du denn hier in der Gegend?“
„Nein, ich muss morgen wieder nach Kalifornien?“
„Sonne baden?“
„Schön wärs. Ich bin bei der Feuerwehr und fliege mit meinem Team in die USA, um die Mannschaften dort bei den Waldbränden zu unterstützen.“
Rosie blieb an der Leiter stehen und er lächelte sie an, beugte sich vor und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Dann strich er Hazel über dem Kopf.
„Pass gut auf dein Frauchen auf.“
„Das macht sie schon, aber wer passt auf dich auf? Die Waldbrandbekämpfung ist wohl nicht ohne.“
„Mir passiert schon nichts“, sagte Doug, zwinkerte ihr zu und ging zu seinem Truck. „In einem Jahr bin ich wieder hier, vielleicht sehen wir uns ja dann wieder.“
Rosie sah dem roten Truck hinterher und ärgerte sich, dass sie nicht einmal die Telefonnummern ausgetauscht hatten. Aber sie hatte ja auch erstmals genug von Männern, sagte sie sich und ging zurück ins Haus.
Drei Tage später wartete Rosie am späten Nachmittag ungeduldig auf ihren Onkel. Sie hatte die Lichterketten angemacht und auch im Haus die Kerzen der Windlichter angezündet. Ihr Blick ging zu der geschmückten Tanne und dachte kurz an Doug. Sie bemerkte, wie sie hoffte, dass ihm nichts passierte. Doch das Dröhnen eines Dieselmotors ließ sie aus ihren Gedanken schrecken. Hazel rannte zur Tür und Rosie stand von dem Sofa auf. Auf einmal war sie aufgeregt und unsicher, ob Eric die Dekoration gefallen würde. Der Dieselmotor ging aus, eine Autotür schlug zu und sie hörte, wie ihr Onkel die Treppenstufen der schiefen Veranda hochstieg.
„Was zur Hölle ist mit meinem Haus passiert?“, fragte er laut, bevor die Haustür aufgestoßen wurde. Im Türrahmen blieb er stehen und schüttelte ungläubig den Kopf.
Hazel wich einige Schritte zurück und stellte sich neben ihr Frauchen. Erics verärgerter Blick durchbohrte Rosie.
„Was hast du dir dabei gedacht? Meine Hütte ist vom Mond aus zu sehen, so hell sind diese Lichter.“ er sah sich um. „Und hier drin sieht es aus, als wäre Santa Claus hier eingezogen.“
„Ich wollte dir eine Freude machen. In wenigen Tagen ist doch Weihnachten und …“
„Du hättest mir eine Freude gemacht, wenn der Hund endlich nicht mehr im Haus, sondern draußen leben würde“, sagte Eric. Er rümpfte die Nase. „Nach was riecht es denn hier? Hast du Kekse gebacken? Das wäre meine Vorstellung von weihnachtlich.“
„Nein, tut mir leid, dass sind Duftkerzen“, erwiderte Rosie und ärgerte sich, dass sie nicht daran gedacht hatte, wie sehr Eric Süßes liebte.
„Na, toll.“ Eric zog den Reißverschluss seiner Jacke wieder zu. „Und ich habe beim Reinkommen gesehen, dass du an das Feuerholz nicht gedacht hast. Ich werde in den Wald gehen. In der Nähe habe ich zwei Stämme abgelegt.“ Ohne ein weiteres Wort verschwand er wieder aus dem Haus.
Enttäuscht ließ sich Rosie auf das Sofa fallen. Hazel setzte sich neben sie und legte ihren Kopf auf Rosies Oberschenkel. Rosie streichelte über ihre langen samtenen Ohren. „Was machen wir denn jetzt, Hazel?“
Der Bloodhound stieß einen langen Seufzer aus. Rosie sah auf die Uhr. Achtzehn Uhr, zu spät, noch ins Dorf zu fahren, um Zutaten für Kekse zu kaufen. Kurz überlegte sie, ob sie die Dekoration wieder abhängen sollte, beschloss es jedoch zu lassen. Sie hatte sich so viel Mühe gegeben, da könnte ihr Onkel wenigstens morgen beim Wegräumen helfen. Aber vielleicht würde er seine Meinung ändern, wenn er eine Nacht drüber geschlafen hatte. Rosie stand auf. „Jetzt koche ich das Chili, für das ich eingekauft habe“, sagte sie zu Hazel. Auf einmal wurde ihre bewusst, dass sie sich ein neues Zuhause suchen musste, wenn Eric sich nicht beruhigte. Denn dass Hazel im Freien schlafen musste, kam auf keinen Fall infrage.
Als ihr Onkel auch zwei Stunden später noch nicht wieder da war, aß Rosie eine Schüssel des Bohneneintopfes und grübelte, über ihre Situation nach. Wenn Eric lieber die Abendstunden im Wald als mit ihr verbrachte, musste er ihr die Weihnachtsdekoration tatsächlich übel nehmen. Müde spülte Rosie ihr Geschirr ab und machte es sich mit einem Buch auf dem Sofa gemütlich.
Sie schreckte hoch, als Hazel wild an der Tür kratzte und winselte. „Was ist denn los?“ Rosie rieb sich den Schlaf aus den Augen. Sie musste beim Lesen eingenickt sein. War ihr Onkel immer noch nicht zurück? Die Uhr an der Wand zeigte, dass es kurz nach Mitternacht war. Wieder winselte Hazel an der Tür. Rosie stand auf, nahm die Hündin am Halsband und öffnete die Haustür. Auf der Veranda legte Hazel den Kopf leicht schief und sah aus, als würde sie lauschen. Rosies erster Gedanken waren Coyoten, obwohl Hazel auf das Geheul normalerweise nicht reagierte. Auf einmal glaubte sie einen Ruf zu hören. War das ihr Onkel, der um Hilfe rief? Schnell packte sie Hazel fester am Halsband. „Los, wir ziehen dir das Geschirr an und gehen auf die Suche.“ Sie zog den Bloodhound mit sich ins Haus, schnallte ihr das Brustgeschirr um und die lange Suchleine. Wenn sie Hazel bei einer Suchaufgabe nicht verlieren wollte, war diese Ausrüstung ein Muss. Schnell schlüpfte sie in Jacke und Stiefel, schnappte sich eine Taschenlampe und die Hundeleine. Dann nahm sie die Fleece-Jacke von Eric, die an einem Haken hing und ließ Hazel daran schnüffeln. „Hilf mir Eric zu finden“, sagte Rosi und zog die Tür hinter sich zu. Schon jagte Hazel die Treppen der Veranda hinunter und schnüffelte im Schnee ein paar Mal hin und her. Rosie schaltete die Taschenlampe an und folgte der Hündin, die ihre Nase dicht am Boden hatte. Die Spur führte in den nahen Wald. „Eric“, rief Rosie, während sie nun beinahe hinter Hazel herrennen musste. Nach wenigen Metern wurde der Schnee so tief, dass Rosie Mühe hatte, sich durchzukämpfen. Die kalte Luft brannte in ihren Lungen. Einem dick mit Schnee bedeckten Tannenast konnte sie nicht mehr ausweichen und fluchte, als sich das kalte Weiß über sie ergoss. „Onkel Eric“, schrie sie erneut, diesmal atemlos. Auf einmal schien sich ein Schatten zwischen zwei dunklen Bäumen zu bewegen. Hazel blieb stehen und Rosie stockte der Atem. War das ein Bär? Nein, es sah aus, wie eine auf dem Boden sitzende Gestalt.
„Eric?“, fragte Rosie und ging zögernd näher.
„Wer sollte es sonst sein!“, brummte er, als sie einen Meter vor ihm mit Hazel stehen blieb.
Rosie stürzte auf ihren Onkel zu und umarmte ihn. „Was ist denn passiert? Wo bist du gewesen?“
Eric hustete. „In den letzten Stunden hier im Schnee“, sagte er und Rosie umarmte ihn noch fester. „Du drückst mir die Luft ab, Kind. Hilf mir lieber auf, ich habe mir den Knöchel verdreht.“
Rosie ergriff Erics Hand und zog ihn auf die Beine. Er stützte sich an einem Baumstamm ab.
„Schaffst du es zurück zur Hütte? Es tut mir so leid. Ich wollte dich mit den Weihnachtslichtern nicht ärgern und mache alles wieder weg. Zum Glück hat Hazel deine Rufe gehört und dich gefunden.“ Sie leuchtete in Erics Gesicht und sah ein schiefes Grinsen. Ihr Onkel streckte den Arm aus und tätschelte Hazel den Kopf. „Braves Mädchen, du hast dir gerade einen Platz auf meinem Sofa verdient“, sagte er und sah dann Rosie an. „Und was die Lichter angeht, liebe Nichte, die können bleiben, wo sie sind. Ich bin nämlich dank ihrem Schein in die richtige Richtung gelaufen und konnte mich bis hierhin schleppen.“ Rosie sah ihn verständnislos an. Was redete ihr Onkel da? Von hier waren die Lichterketten doch sicher nicht mehr zu sehen. Sie wandte sich um und sah in die Richtung, aus der sie gekommen war. Und tatsächlich, durch die Bäume hindurch sah sie die hell beleuchte Hütte im tiefen Dunkel der Nacht.