Eine Woche im Sattel
Dies ist der dritte und abschließende Teil meiner Reihe über Kananaskis.
Nach der Region selbst und der Anchor D Ranch geht es diesmal um das, was diese Landschaft für mich am meisten ausmacht: eine Woche im Sattel, getragen von einem Pferd, begleitet von Menschen aus aller Welt und von einem Rhythmus, der einfacher ist als alles, was wir Alltag nennen.
Regen, Begrüßung und die Pferdeverteilung
Der Tag beginnt auf der Anchor D Ranch mit Regen. Die Luft ist kühl, der Hof matschig, und trotzdem ist die Stimmung gut. Wir sind acht Frauen aus acht verschiedenen Ecken der Welt: UK, Bahamas, Australien, Deutschland und Alberta. Die Begrüßung ist kurz, aber herzlich. Erfahrung im Sattel ist sofort ein Gesprächsthema, und die ersten Lacher lösen die Anspannung.
Die Guides tragen ihren Teil dazu bei. Sie scherzen miteinander, machen trockene Bemerkungen, und niemand lässt sich vom Wetter beeindrucken.
Dann tritt Dewy zu uns. Er liest die Namen der Pferde vor.
„Merkt euch den Namen“, sagt er. „So rufe ich euch gleich auf, damit ihr aufsitzen und die Steigbügel anpassen könnt.“
Das ist Anchor D: keine Show, kein unnötiges Drumherum. Einfach Pferde, Menschen und die Arbeit, die getan wird.
Wir alle murmeln den Pferdenamen leise vor uns her, bis wir aufgerufen werden.
Fahrt in den Regen und ein erster langer Ritt
Bevor wir losreiten, verstauen wir Regenjacken und Ausrüstung. Dann steigen wir in den Truck, der uns zwei Stunden weit zu einem abgelegenen Parkplatz bringt. Der Regen wird stärker, Nebel hängt zwischen den Tannen.
Dort stehen die Pack-Kutschen schon bereit. In ihnen steckt alles, was wir für die Woche brauchen: Essen, Werkzeug, Plane, unser Gepäck. Die Wrangler arbeiten ruhig und routiniert, lachen trotz des Wetters, und man spürt, dass sie sich über jede neue Gruppe freuen.
Das Kribbeln vor dem Aufbruch ist da. Kein Lampenfieber, eher Vorfreude.
Der Start ist leise. Kein großes Zeremoniell, nur Aufsitzen, Zügel aufnehmen, atmen. Dann setzt sich die Gruppe in Bewegung.
Vor uns liegt ein fünfstündiger Ritt. Unser Ziel: das erste Camp, in dem wir zwei Nächte bleiben.
Chip und ich – die ersten Stunden im Sattel
Für diese Woche ist mein Partner ein Wallach namens Chip. Ein ruhiges, kluges Pferd, das wie ich kein Problem damit hat, am Ende der Gruppe zu gehen. Er lässt sich nicht stressen. Ein perfekter Begleiter, wenn man die Landschaft wirklich aufnehmen will.
Ich brauche im Sattel keine ständigen Gespräche. Die Weite, der Rhythmus des Pferdes, der Geruch nach Wald und Regen, das reicht. Chip scheint das zu verstehen und lässt mich das wachsende Glücksgefühl im ganzen Körper spüren.
Irgendwann reitet Dewy zu mir herüber. Wir kennen uns seit meinen frühen Jahren in Alberta, als ich selbst ein kleines Trailreiten-Unternehmen führte.
„Was machst du denn jetzt so?“ fragt er.
„Ich schreibe Romane.“
Er grinst. „Cowboy Porn?“
Das ist typisch Dewy: Ironie in Reinform, ohne Boshaftigkeit, immer ein bisschen schelmisch.
Die Wege werden schmaler. Wir lassen die Schotterwege hinter uns und reiten in ein Gebiet, das nur zu Pferd erreichbar ist. Als wir das Camp erreichen, sind alle froh. Der erste Tag sitzt in den Knochen. Und wir hoffen, auf den Feldbetten in den Zweier-Zelten bequem schlafen zu können.
Über 2000 Höhenmeter – und die Fotos erzählen den Rest
Die nächsten Tage führen uns in unser zweites Camp, höher in die Berge hinein. Wir reiten über offene Grate, durch enge Täler und über Flüsse, die klar und eiskalt sind. Mehrmals steigen wir auf über 2000 Meter.
Die Landschaft ist so gewaltig, dass Worte kaum reichen. Wir reiten durch den Don Getty Wildland Provincial Park, Eden Valley und ein Stückchen über den Grat, den Continental Divide, der Alberta und die Provinz British Columbia trennt.
Sonne auf den Berggipfeln.
Weite, die sich nicht erschöpft.
Himmel, der größer wirkt als anderswo.
Stunden im Sattel fühlen sich hier nicht lang an. Der Rhythmus trägt dich. Die Berge setzen die Geschwindigkeit, nicht die Uhr.
Wir hatten Glück. Eine Woche Sonnenschein in den Kananaskis Mountains Mitte September ist selten. Keine Frostnächte, keine Schneefelder, nur lange Tage im Sattel, die jede Stunde wert waren.
Wildtiere, Feuer und Geschichten
Viel Wild haben wir nicht gesehen, was bei acht Gästepferden und mehreren Guidepferden normal ist. Ein kleiner Schwarzbär tauchte kurz auf. Einmal standen Rehe zwischen den Espen. Im Matsch fanden wir frische Grizzlyspuren, tief und beeindruckend.
Die Abende am Lagerfeuer gehören zu den Momenten, die man nicht vergisst. Fantastisches Essen, warm, deftig, genau das, was man nach einem langen Ritt braucht. Danach erzählen die Guides. Geschichten aus ihrer Saison, von den „schwierigsten“ Gästen, den längsten Tagen, von anderen Gäste-Ranches, auf denen sie gearbeitet haben. Sie sind junge Abenteurer, die die Welt entdecken und wir lassen uns anstecken von ihrer Lebensfreude.
Über uns ein Himmel voller Sterne. Das Gefühl von Geborgenheit und Freiheit liegt dicht beieinander.
Trailpferde: Charakter, Können und Herkunft
Trailpferde sind bewundernswert und verdienen Respekt. Sie tragen uns über Felsen, durch Flüsse, über Pässe. Sie treffen Entscheidungen schneller, als wir sie bemerken. Sie bleiben ruhig, wenn der Wind auffrischt oder das Gelände abrupter wird.
Chip trägt mich mit einer Gelassenheit, die ansteckend ist.
Bei jeder Galoppstrecke spürt man, dass auch er Freude hat. Jeden Tag teilen wir uns einen Apfel. Mir gehört der erste Bissen.
Alle Pferde der Anchor D Ranch stammen aus Dewys eigener Zucht. Auf dem Trail erkennt man ihre Verwandtschaft: dieselbe Trittsicherheit, dieselbe Ruhe, derselbe klare Kopf.
Die Guides reiten die jungen Pferde. Sie lassen sie alles erleben: steile Wege, Flussdurchquerungen, Geröll, Wind. Erst wenn sie sicher genug sind, tragen sie Gäste.
Am Ende jedes Tages klopfe ich Chip den Hals und danke ihm. Ohne das Pferd wäre nicht einmal ein Drittel der Strecke für mich möglich.
Eine Woche im Rhythmus der Berge
Der Tagesrhythmus ist einfach.
Die meisten von uns Gästen stehen gegen sieben Uhr auf. Zelte öffnen sich, Schlafsäcke rascheln. Zu dieser Zeit brennt das Lagerfeuer schon, und es gibt Kaffee und heißes Wasser für Tee.
Die Pferde, die nachts an Highlines angebunden sind, werden von den Guides gefüttert.
Um acht Uhr gibt es Frühstück. Während die Guides die Pferde satteln, packen wir unsere Sachen für den Tagesritt, putzen Zähne neben dem Zelt und machen eine Katzenwäsche.
Das Lunchpaket wandert in die Satteltasche.
Um neun Uhr sitzen wir im Sattel.
Die Gespräche drehen sich um das Land, durch das wir reiten, und um persönliche Dinge, die erst in dieser Art von Ruhe auftauchen.
Es ist ein Leben mit wenigen Entscheidungen, mehr eine eingespielte Routine, in die ich mich fallen lasse. Der Kopf wird langsamer, klarer. Man lebt mehr im Körper als im Kopf.
Der letzte Tag: ein stilles Goodbye
Wir reiten nicht zurück zur Ranch. Der letzte Tag führt uns zu einem Parkplatz, auf dem die Pferdeanhänger warten.
Das Absteigen fällt schwer. Die Beine zittern ein wenig, und das Pferd schnaubt, als wüsste es, dass die gemeinsame Woche endet.
Es gibt kein großes Finale. Kein Abschiedsritual.Nur ein Streichen über den Hals, ein letzter Dank.
Und der Wunsch, etwas von dieser Ruhe nicht zu verlieren.
Warum Trailreiten bleibt
Trailreiten in den Rocky Mountains ist kein Urlaub.
Es ist ein Unterwegssein, das etwas in einem verschiebt.
Man sieht die Berge nicht aus der Entfernung, sondern durch die Ohren eines Pferdes. Man hört seinen Atem, spürt seinen Schritt, riecht Wald, Staub, Regen, Feuer.
Kananaskis zeigt seine Größe nicht durch Superlative, sondern durch Stille.
Die Anchor D Ranch ist Teil dieser Landschaft und diese Landschaft wird Teil von dir.
Für mich war diese Woche mehr als ein Reittrip. Sie hat mich daran erinnert, warum ich mich 2001 bei meinem ersten Reiturlaub in Alberta verliebt habe. In die Wildnis, in die Stunden im Sattel, in die Verbindung zwischen Mensch und Pferd.
Damals führte mich das schließlich zu einem Leben hier und sogar dazu, fünf Jahre lang Gäste aus aller Welt selbst mit Pferden durch die Berge zu führen. Ein einfaches Leben, ohne Luxus, im Zelt von Ende Mai bis Anfang Oktober.
Diese Erfahrungen tragen meine Geschichten.
Diese Liebe zum Trailreiten bleibt, auch wenn ich heute nur noch ein oder zwei Mal im Jahr unterwegs bin.
Abschlusswort
Die drei Artikel dieser Reihe erzählen von einer Region, einer Ranch und einer Woche im Sattel. Doch eigentlich erzählen sie von etwas Größerem: davon, wie Landschaft, Pferde und Menschen zusammenwirken können, wenn man ihnen Zeit gibt.
Kananaskis ist kein Ort, den man besucht und dann abhakt. Es ist ein Stück Land, das mit jedem Aufenthalt tiefer wirkt. Die Anchor D Ranch ist für mich einer der Plätze, an denen sich zeigt, wie nah Arbeit, Natur und Gastfreundschaft hier beieinander liegen. Und der Reittrip erinnert mich daran, warum ich vor vielen Jahren mein geordnetes Leben in Deutschland für Abenteuer in den Rocky Mountains eingetauscht habe.
Vielleicht ist das die stille Kraft dieser Berge. Sie drängen sich nicht auf. Sie verändern dich, ohne es zu müssen. Und wenn man wieder aufbricht, trägt man etwas davon mit sich, egal, wie weit man fährt.


