Kurzgeschichte Advent

„Pfoten im Schnee“

Winterlichter in Arrowwood

Kurzgeschichte Advent

Mach’s dir gemütlich, vielleicht mit einem Tee oder einer Kerze – denn heute habe ich eine kleine Adventsgeschichte für dich. Wenn du magst, kannst du sie dir hier auch gleich anhören oder wenn du lieber liest, findest du den Text direkt darunter.

Der Morgenhimmel über Arrowwood war so weiß, dass Emily kaum wusste, wo die Wolken endeten und der Schnee begann. Selbst die Tannen schwiegen, schwer von Frost, als hätten sie beschlossen, jedes Geräusch aufzusparen für den Frühling.

Im Rückspiegel sah sie den langen Streifen Landstraße, den sie und Rabbit seit Sonnenaufgang hinter sich gebracht hatten. Auf dem Rücksitz lag Grizz. Sein Kopf ruhte auf den Pfoten, das silbergraue Fell hob und senkte sich ruhig im Rhythmus des Motors. Der Hauch seiner Atemwolke beschlug die Fensterscheibe.

„Fast da“, murmelte sie, obwohl sie wusste, dass Grizz das längst spürte.

Neben ihr, hinter dem Steuer, brummte Rabbit ein Countrylied mit, das kaum zu hören war. Die Heizung kämpfte tapfer gegen die Kälte an, ein schwacher Windzug zog durch den Wagen. Emily wischte mit klammen Fingern auf ihrem Smartphone zu Nickys neuester Textnachricht. Das erste Licht ist entzündet, das Winterfestival wird großartig. Bin gespannt, was du von deiner Zeit an der Wolfhundstation erzählst. Gute Fahrt.

Emily schluckte. In ihrer Brust spannte sich etwas. Sie hatte Arrowwood vermisst, mehr als sie zugeben wollte. Aber die Erinnerungen an die Arbeitswochen in der Wolfhundstation, an die kleinen Körper, die sie nicht hatte retten können, sie lagen ihr noch in den Händen, in jeder Bewegung, in jedem Atemzug.

Rabbit legte eine Hand über ihre, während er das Lenkrad mit der anderen hielt. Ein kurzer Druck, ohne Worte.

Sie nickte, sagte nichts. Der Schnee begann wieder zu fallen.

Emily hielt die Thermoskanne hoch. „Kaffee?“

„Das ist kein Kaffee“, sagte Rabbit, „das ist ein Lebenselixier in braun.“

Emily lachte leise, und es klang, als würde etwas in ihr auftauen. Sie fuhr das Fenster ein Stück herunter und ließ kalte Luft herein. Grizz hob die Nase, schnupperte, und ein Laut, halb Schnauben, halb Seufzen, entwich ihm. Für einen Moment glaubte Emily, sein Atem hätte Form, wie kleine Geister, die raus wollten.

 

Der Nachmittag roch nach Schnee. Hinter der Ranch-Scheune klirrten Eimer, irgendwer lachte, und aus der Ferne drang das dumpfe Schlagen eines Hammers. Tom und Rabbit besserten die Futterraufen aus, während Lainey und Emily sich um die Dekoration für das nächste Winterlichter-Ereignis kümmerten, das im Dorf stattfinden würde.

Emily stand neben Lainey an einem Arbeitstisch, wickelte Lichterketten um Kieferngirlanden. Die Dämmerung kroch schon früh heran, das Licht wurde blau. Ihre Finger waren klamm, aber die Bewegung tat gut, regelmäßig, beruhigend.

„Du hast das im Blut“, sagte Lainey und schob ihr einen Draht zu. „Sogar deine Knoten sehen ordentlich aus.“

Emily lächelte schmal. „Nach vier Wochen Wolfhundstation bindet man alles, was sich bewegt.“

„Wie war’s? Ich hab nur gehört …“

Emily zuckte die Schultern. „Hart. Schön. Traurig. Alles gleichzeitig.“

Lainey reichte ihr wortlos eine Thermoskanne. „Kakao. Keine Fragen.“

Emily trank einen Schluck, ließ die Süße auf der Zunge schmelzen. Draußen heulte der Wind durch die Birkenreihe am Wegrand, erst leise, dann mit einem rauen, langen Ton. Grizz hob den Kopf. Er stand am Pfosten vor der Scheune, die Leine lose um einen Balken gelegt und spitzte die Ohren. Sein Fell sträubte sich leicht, die Nüstern bebten.

„Was ist, Großer?“ Emily stellte den Becher ab, trat näher.

Grizz’ Blick folgte dem Waldstück hinter der Koppel. Nichts zu sehen, nur Schneetreiben.

„Vielleicht ein Elch“, murmelte Rabbit, der aus dem Stall trat.

„Vielleicht“, sagte Emily, aber ihre Stimme klang nicht überzeugt.

Ein paar Schneeflocken verfingen sich in Grizz’ Fell. Er knurrte nicht, bellte nicht, er lauschte.

Dann schnaubte er, schüttelte sich, als wollte er die Spannung abschütteln und setzte sich wieder.

„Siehst du“, sagte Lainey, „falscher Alarm. Der Sturm schickt seine Vorboten, sonst nichts.“

Doch Emily sah zum Himmel. Über dem Horizont lag eine dichte, graue Wand, schwer wie Blei.

Der Wind schnitt schärfer, trieb den Schnee in feinen Bahnen über den Boden.

„Ich fahr später runter ins Dorf und nehme unsere gebastelte Deko mit“, sagte Lainey, „Beth braucht Hilfe beim Aufbauen. Kommst du mit?“

„Ich bleib mit Grizz besser hier.“

Lainey zog die Kapuze hoch, winkte, stieg in den Jeep und fuhr davon. Das Motorengeräusch verklang schnell im Wind.

Rabbit kam mit Grizz’ Leine, legte sie Emily in die Hand. „Ich geh noch mal zum Stromkasten. Wenn der Sturm wirklich kommt, will ich vorbereitet sein.“

Sie nickte. „Ich bring ihn solange in den Stall.“

Grizz trottete neben ihr her, Kopf hoch. Im Offenstall empfing sie der Geruch von Heu, Leder und warmem Pferdeatem. Die alten Tiere wieherten leise, und für einen Moment fühlte Emily sich friedlich, bis ein dumpfes Knacken vom Waldrand kam, als würde jemand auf Äste treten.

Grizz’ Ohren zuckten, ein tiefes, leises Grollen vibrierte in seiner Brust. Emily legte eine Hand auf sein Halsband. „Schon gut“, flüsterte sie. „Nur der Wind.“

Aber als sie in die weiße, dichte Luft hinaus sah, war sie sich nicht sicher, ob sie das glaubte. Draußen drehte der Wind, und die ersten richtigen Flocken fielen. Der Sturm kam schneller, als sie gedacht hatte. Am Himmel war kein Übergang zwischen Tag und Nacht, nur ein Kippen, eben noch grau, dann plötzlich weiß, dicht, laut. Der Wind riss an der Stalltür, als wollte er herein, und die Pferde stampften unruhig.

Rabbit trat aus der Werkstatt, Mütze tief ins Gesicht gezogen, Schneeflocken auf den Schultern.

„Ich geh kurz zu den Zäunen“, rief er. „Der Wind kommt von Süden, das Tor könnte wieder aufspringen!“

„Ich komm mit“, antwortete Emily automatisch.

Grizz hob den Kopf, als hätte er schon auf das Wort gewartet. Sie band ihm die Leine an den breiten Ledergurt, zog die Kapuze über und trat hinaus in die Nacht. Der Wind war kein Rauschen mehr, sondern ein Fauchen. Schnee stob waagrecht, die Kälte biss in Nase und Wangen.

„Wir sollten nicht lange brauchen!“, rief Rabbit über den Sturm hinweg.

Sie nickte, beugte sich gegen den Wind. Der Weg zur unteren Koppel war kaum noch zu erkennen. Grizz lief an der langen Leine vorneweg. Sein Körper war wie ein Kompass, er zog leicht nach links, dann blieb er stehen, Nase im Wind, ein tiefes, kehliges Brummen in der Brust.

„Was ist es, Großer?“ Emily folgte seinem Blick. Zwischen den Schneeverwehungen war nichts zu sehen.

Rabbit wollte schon weiter, doch Grizz spannte plötzlich die Leine. Ein Laut, kein Bellen, eher ein warnendes, tiefes Winseln.

„Warte!“ Emily kniete sich hin, tastete mit den Handschuhen durch den Schnee und spürte etwas Weiches. Kein Ast. Warm. Zitternd. „Oh nein …“, flüsterte sie.

Vorsichtig wischte sie Schnee beiseite. Ein Hund, mittelgroß, verfilztes Fell, ein Halsband, das nur noch halb geschlossen war. Sein Atem war flach, kaum hörbar.

„Rabbit! Er lebt!“

Rabbit war sofort bei ihr, kniete sich neben sie. „Verdammt … wie hat der hier draußen überlebt?“

„Nicht fragen, anpacken!“ Emily zog ihren Schal vom Hals, wickelte das Tier hinein.

Grizz stand dicht daneben, das Fell gesträubt, aber ohne Laut. Seine Augen folgten jeder Bewegung, als wüsste er, wie zerbrechlich das Leben da unter Em’s Händen war.

„Ich spür den Puls, aber schwach. Wir müssen ihn ins Warme bringen.“

Rabbit nickte, hob den Hund vorsichtig auf. Der Rückweg war mühsam. Der Wind drückte sie fast in den Schnee, der Weg verschwand unter ihren Füßen. Emily lief dicht hinter Rabbit, die Hand an Grizz’ Leine, der ruhig und zielstrebig blieb. Einmal stolperte sie, doch Grizz zog sanft an, half ihr, das Gleichgewicht zu halten.

Sie kehrten in den Stall zurück, die Tür fiel schwer ins Schloss. Drinnen war es halbdunkel, warm von Pferdeatem und Lampenlicht. Rabbit legte den Hund auf eine Decke in der Ecke. Emily kniete sich sofort daneben. „Atmung flach, aber regelmäßig.“

Ihre Hände zitterten, als sie die Decke nachzog. Nicht nur vor Kälte. Grizz setzte sich daneben, die Nase knapp über den unbekannten Hund gesenkt. Ein kurzes, leises Winseln. Dann Stille.

Emily legte eine Hand auf Grizz’ Rücken. „Schon gut, Großer. Wir kümmern uns.“

Rabbit trat näher, atmete schwer. „Er hat Glück, dass du ihn gefunden hast.“

„Er hat Glück, dass er durchgehalten hat“, flüsterte sie.

Grizz blickte zu ihr auf, und für einen Moment hatte sie das Gefühl, als hätte er verstanden. Draußen peitschte der Sturm weiter. Drinnen hörte man nur drei Atemzüge, den ihren, Rabbits und den schwachen des Streuners.

Der Wind hatte sich in ein gleichmäßiges Heulen verwandelt, wie eine Stimme, die ihren Namen rief und dann im Nichts verschwand.

Emily hockte neben dem Streuner, die Hand auf seiner Brust, fühlte das schwache Heben und Senken unter der Decke. Der Geruch von Heu und nassem Fell lag schwer in der Luft.

Rabbit saß auf einem Heuballen und polierte mit einem Lappen seine nassen Stiefel, als wollte er beschäftigt aussehen, um nicht zu zeigen, wie oft sein Blick zu Emily glitt.

Grizz lag neben der improvisierten Liegestatt, Kopf auf den Pfoten, wachsam, aber ruhig. Ab und zu zuckte sein Ohr, wenn der Sturm an der Scheune rüttelte. Die Tür öffnete sich mit einem dumpfen Ächzen. Ein Schneeschwall und Lainey traten gleichzeitig herein. Sie trug eine Decke um die Schultern, die Haare leicht vom Schnee feucht und balancierte ein Tablett mit zwei Thermoskannen und ein paar Sandwiches.

„Ich hab Verstärkung und Nervennahrung“, sagte sie. „Granny schickt Grüße und bedankt sich, dass ihr hier bei den Senioren Wache schiebt. Manche der Alten fürchten den Sturm.” Sie stellte ein Marmeladenglas mit einem brennenden Teelicht auf eine Holzkiste. „Und sie hat mir das kleine Licht für euch mitgegeben.“ Sie stellte das Tablett ab, streichelte Grizz kurz über den Kopf und erstarrte dann, als sie den Hund unter der Decke sah. „Oh mein Gott … wo habt ihr den denn gefunden?“

„Im Graben, unter Schnee. Hätte Grizz ihn nicht bemerkt …“ Emily ließ den Satz offen.

Lainey kniete sich neben sie, vorsichtig, als wolle sie das Tier nicht wecken. „Der Arme. Wie sieht’s aus?“

„Atmet, aber schwach. Kein Bruch fühlbar, wahrscheinlich unterkühlt. Ich hoffe, er hält durch.“

Lainey griff nach der Thermoskanne, schenkte Tee in zwei Becher. Der Dampf roch nach Hagebutte und Honig. „Hier. Trink. Du zitterst.“

Emily nahm dankbar den Becher und spürte die Wärme in den Händen. Eine Weile hörte man nur das Trommeln des Windes und das leise Knacken des Holzes.

„Es ist verrückt“, sagte Emily schließlich leise. „Man denkt, man ist bereit. Dass man gelernt hat, mit dem Sterben umzugehen, aber jedes Mal fühlt es sich an, als würde man ein Stück von sich selbst verlieren.“

Lainey sah sie an, still.

Emily trank einen Schluck Tee und holte Luft. „In der Station …“ Sie brach ab, suchte die Worte. „Wir hatten zwei Würfe Wolfhundwelpen. Beide krank, trotz allem, was wir getan haben. Ich hab Nächte neben den Boxen geschlafen. Manchmal mit dem Gefühl, wenn ich nur wach bleibe, dann … überleben sie.“ Ihre Stimme stockte. „Sie haben’s nicht getan. Und ich hab mich gefragt, wofür all das Wissen gut ist, wenn man am Ende doch zusehen muss, wie etwas Kleines, Warmes … einfach aufhört zu atmen.“

Rabbit legte den Lappen weg, trat näher, aber sagte nichts.

Lainey rührte sich zuerst, lehnte sich gegen den Holzpfosten. „Ich glaub, manchmal geht’s nicht ums Retten“, sagte sie leise. „Sondern ums Dableiben. Darum, dass sie nicht allein sind, wenn’s passiert.“

Emily nickte, atmete zittrig ein. „Ich weiß. Ich sag das auch immer anderen. Nur, wenn’s dann wirklich passiert …“ Sie sah auf den Hund unter der Decke. „… dann fühlt es sich an, als wär ich wieder da. Dieselbe Nacht. Dieselbe Angst.“

Lainey legte ihr eine Hand auf den Rücken. „Heute ist eine andere Nacht.“

Emily sah sie an und für einen Moment war der Lärm des Sturms nur Hintergrund, wie das Rauschen eines Radios, das man vergessen hatte auszuschalten. Grizz hob langsam den Kopf, stieß einen leisen Laut aus.

Rabbit kniete sich hin, prüfte den Puls des Streuners. „Stärker. Ganz leicht, aber stärker.“

Emily ließ den Atem los, den sie gehalten hatte, ohne es zu merken. Sie beugte sich vor, legte ihre Hand auf die des Hundes. „Bleib bei uns, Kleiner.“

Lainey reichte ihr ein Sandwich. „Iss was. Auch Heldinnen brauchen Kohlenhydrate.“

„Ich bin keine Heldin.“

„Doch. Nur eine, die es nicht merkt.“

Grizz schnaubte und sie alle lachten leise. Lainey verabschiedete sich für die Nacht und wünschte dem Streuner viel Glück. Emily folgte dem Tanz des Teelichts im Marmeladenglas mit den Augen. Sie erinnerte sich an Nickys Worte vom Vortag: „Wir tragen das Licht weiter.“

Vielleicht, dachte sie, war es genau das, was sie tat: halten, wärmen, dableiben, bis schwaches Licht wieder stärker wurde.

Das Heulen des Sturms draußen klang jetzt fast wie der Atem des Streuners, rau, unregelmäßig, aber lebendig. Und das reichte.

 

Als Emily am nächsten Morgen die Augen öffnete, war der Sturm still. Sie saß noch immer auf dem Heuballen, die Beine angewinkelt, Grizz neben sich wie ein grauer Schatten. Rabbit lehnte mit dem Rücken an der Holzwand, dick in eine Decke gehüllt, Kopf auf die Arme gestützt, leise schnarchend. Der Streuner bewegte sich. Ein Zucken, kaum sichtbar, dann hob sich langsam der Kopf.

Emily hielt den Atem an. Das Tier blinzelte träge, sein Blick suchte, unsicher, aber wach. „Hey, Kleiner“, flüsterte sie. Ihre Stimme klang heiser vom Schweigen der Nacht.

Grizz hob sofort den Kopf, die Ohren gespitzt, aber ruhig. Er rückte ein Stück näher, ließ ein sanftes Schnauben hören. Langsam, ganz vorsichtig, beugte Emily sich vor und löste die Decke ein Stück. Darunter kam ein schmutzig-braunes Fell zum Vorschein, verfilzt, aber dicht. Der Hund. Rüde, vielleicht fünf, sechs Jahre alt, atmete flach, aber regelmäßig.

Er hatte überlebt.

„Willkommen zurück“, murmelte sie.

Rabbit rieb sich den Nacken, kam herüber. „Das nenn ich mal Timing. Noch ein paar Stunden, und …“ Er brach ab, das Ende des Satzes unnötig.

Emily nickte. Sie verstand. Sie spürte, wie sich die Kälte der Nacht langsam aus ihren Knochen löste. Grizz legte sich hin, die Schnauze auf die Pfoten, und schloss die Augen. Sein Körper war entspannt, Zeichen, dass keine Gefahr mehr drohte.

„Wie nennst du ihn?“, fragte Rabbit, der den letzten Rest Tee aus der Thermoskanne in zwei Tassen verteilte.

Emily dachte einen Moment nach. „Wonder“, sagte sie leise. Rabbit grinste schief. „Wunderbar. Ein Schneesturm-Wonder.”

Ein Lachen löste sich aus Emily, dieses freie, ehrliche, das sie selbst erschreckte, weil es sich so lange nicht gezeigt hatte. Die Sonne brach über den Baumwipfeln hervor, golden, wunderschön. Das Licht fiel durch das kleine Fenster auf den Boden des Stalls, genau dorthin, wo Wonder lag.

Emily folgte dem Sonnenstrahl mit den Augen und flüsterte: „Vielleicht warst du nie verloren, hm? Vielleicht warst du einfach auf dem Weg.“

Rabbit öffnete die Stalltür, und das Licht ergoss sich über den Boden wie Wasser. Wonder blinzelte, hob mühsam den Kopf und stand auf. Unsicher, wankend, aber aufrecht. Grizz hob die Nase, trat einen Schritt vor, bis sie Nase an Nase standen. Ein stilles Nicken, wenn Hunde eines kennen.

Emily lächelte. Sie trat hinaus in die klare Winterluft, und das kalte Blau des Himmels fühlte sich an wie ein Versprechen.

 

Bis Mittag waren die Straßen geräumt und Arrowwood lag da wie aus Zucker gegossen. Die Sonne schien so hell, dass der Atem in der Luft glitzerte, und Emily musste blinzeln, als Rabbit seinen Truck in die Hauptstraße lenkte. Grizz saß auf der Rückbank, zufrieden, Kopf auf dem Fensterrahmen. Auf dem Beifahrersitz lag der Streuner eingewickelt in eine alte Decke, den Kopf auf den Pfoten, halb schlafend. Wonder.

Rabbit parkte vor dem Diner, das bereits geschäftig war. Über der Tür hing ein neues Schild aus Holz: Winterlichter – Punsch & Plätzchen für den Gnadenhof.

Lainey stand auf der Veranda, Ärmel hochgekrempelt, eine Weihnachtsmütze schief auf dem Kopf. Beth daneben, mit Kochlöffel bewaffnet, wie ein General im Einsatz.

„Na endlich!“, rief Lainey, als sie Emily sah. „Wir dachten schon, ihr steckt noch im Schnee fest!“

„Fast“, antwortete Rabbit. „Aber Emily hat den Schneesturm besiegt und gleich noch ein Wunder gefunden.“

Lainey kam näher, beugte sich in den Truck und schnappte nach Luft. „Oh wow … der ist ja nicht wiederzuerkennen.“

Wonder blinzelte, hob kurz den Kopf und leckte Laineys Finger, als wollte er die Aussage bestätigen.

„Wie heißt er?“ fragte Beth, die neugierig näher kam.

„Wonder“, sagte Emily. „Weil er eines ist.“

„Passt perfekt!“, sagte Lainey. „Wir können für heute noch ein paar Decken organisieren, er darf hier beim Stand sitzen. Die Kinder werden ihn lieben!“

Emily wollte protestieren, zu viele Menschen, zu viel Trubel, doch Lainey grinste. „Na komm, das Dorf braucht ein Maskottchen. Der Sturm hat genug Wind gemacht, jetzt brauchen wir was zum Herzenwärmen.“

Eine Stunde später war die Hauptstraße voll Leben. Laternen hingen zwischen den Dächern, Musik dudelte aus der Jukebox, und der Geruch nach Punsch und Zimt zog durch die Luft. Wonder lag auf einer Decke am Diner-Eingang, Grizz daneben, ruhig, aufmerksam. Kinder kamen vorbei, streckten vorsichtig die Hände aus. Wonder blinzelte sie an, ließ sich kraulen, als wäre er schon immer Teil von Arrowwood gewesen.

Emily stand ein paar Schritte entfernt, eine Tasse Punsch in der Hand. Lainey stellte sich neben sie, beide schauten auf die Szene vor dem Diner.

„Siehst du?“, sagte Lainey leise. „Manchmal muss man kein Feuerwerk machen. Ein Hund reicht.“

„Und ein bisschen Licht“, fügte Emily hinzu.

Beth kam aus der Küche, wischte sich die Hände an der Schürze ab. „Sag das Caroline nicht. Die würde morgen gleich zwanzig Gläser aufstellen.“

Lainey lachte, aber ihre Stimme wurde weicher. „Sie meinte gestern, das Licht soll wandern. Von Herz zu Herz. Ich glaube, sie hat recht.“

Emily nickte, beobachtete, wie ein Junge Wonder ein kleines Holzherz an sein Halsband band.

„Für Glück“, sagte das Kind stolz.

Rabbit kam dazu, legte Emily eine Hand an den Rücken. „Beth will Junes Bar und das Diner gemeinsam nutzen. So ’ne Art Winterabend mit Musik und Geschichten. Clay ist auch dabei.“

„Clay und June in einem Raum mit Beth?“ Lainey hob eine Augenbraue. „Das wird spannend.“

„Dann freut euch auf das dritte Licht“, sagte Emily.

Wonder hob den Kopf, als hätte er verstanden, und in seinen Augen spiegelte sich die Sonne über den glitzernden Straßen.

 

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