Adventskalender gehörten immer schon zu einer meiner liebsten vorweihnachtlichen Traditionen.
Als ich von der Gemeinschaftsaktion Autoren-Adventskalender erfuhr, wollte ich sofort mit dabei sein. Wir Autoren bekommen unser eigenes Türchen und dahinter verbergen sich kleine Geschichten, Gedichte und zauberhafte Wünsche. Wunderbar finde ich auch, dass auch die Adventskalender der Jahre zuvor angeklickt werden können, denn Geschichten sind zeitlos.
Wintersonnenwende in Arrowwood
Am frühen Abend brannte das Lagerfeuer und es fanden sich an die zwanzig Erwachsene und zahlreiche Kinder bei dem Haus der Cree-Ältesten, Sage Sweetgrass, ein. Der klare Himmel versprach eine kalte Nacht, aber das große Feuer würde die Temperatur um Minus 15 Grad erträglich machen. Die Besucher aus dem First Nation Reservat und aus dem Dorf hatten verschiedene Speisen mitgebracht, die in Sages Küche und dem Esszimmer verteilt standen. Jeder bediente sich und kam mit einem gefüllten Teller wieder nach draußen. Tom holte sich eine Schüssel Eintopf und mischte sich unter die Leute. Es wurden Geschichten erzählt, gelacht und die Kinder spielten ausgelassen. In der fröhlichen Stimmung fühlte Tom sich fehl am Platz, brachte das Geschirr wieder ins Haus und blieb auf der Veranda stehen, abseits der anderen.
„So weit weg vom Feuer wird es dir kalt werden“, sagte eine weibliche Stimme.
„Kateri, schön dich zu sehen“, erwiderte Tom und tippte sich an seinen Hut. „Hat die Sleeping Lake Ranch den Schneesturm gut überstanden?“
Die junge Cree lächelte. „Ja, wir hatten alles im Griff.“
„Wir?“
„Tyler war dort und hat mir geholfen, die Herde von der Weide in den Offenstall zu treiben, in dem sie vor dem eisigen Wind geschützt waren.“
Er nickte, wollte fragen, wann Tyler endlich die Sleeping Ranch wieder verließ. Sein Groll gegenüber dem Jungen mischte sich mit der Sorge, Tyler könnte seine Androhung wahr machen. Er schob die Bedenken an den Rand seiner Gedanken. „Warst du noch auf der
Ranch, als Caroline ankam?“
Schmunzelnd nickte sie. „Und, bevor du fragst, ihr ging es bestens. Sie war erfüllt von den Erlebnissen in der Schwitzhütte und freute sich, mit den Pferden und Nicky die Wintersonnenwende zu verbringen.“
„Das ist gut.” Er deutet zum Feuer. „Geh lieber hin, bevor die besten Plätze um die Flammen besetzt sind.“
„Kommst du mit?“
„Später. Ich will mir einen Kaffee holen.“ Tom hob die Hand zum Gruß und ging wieder ins Haus. In der Diele stieß er mit Sage zusammen, die einen großen Weidenkorb in den Armen hielt.
„Huch, langsam. Wo willst du denn hin? Draußen spielt die Musik“, sagte sie. „Oder besser gesagt die Trommeln.“
„Ich brauche einen Kaffee.“
„Quatsch, komm wieder mit.“ Ihre Stimme duldete keinen Widerspruch. Auf der Veranda rief sie einen der Besucher her, der ihr den Korb abnahm. „Da ist der Teig für das Bannock drin
und Marshmallows für die Kinder. Stöcke zum Rösten liegen neben den Holzbänken.“ Sie deutete an die Stelle.
„Ich werde es verteilen, Elder Sage“, sagte der junge Mann und machte sich davon.
Sage lehnte sich an die Holzbrüstung und atmete tief die kalte Abendluft ein. Tom beobachtete, wie sich die Besucher in einer Reihe aufstellten und wenig später Stockbrot und Marshmallows an Stöcken in die Glut gehalten wurden. Sage gebot ihm mit einer Handbewegung, ihr zu folgen. Sie gingen auf ein kleines Podest zu, auf das sie trat. Jemand pfiff und die munteren Gespräche
verstummten.
Bald war nur noch das Knistern der Flammen zu hören. Tom entdeckte Blake in der Menge und sie nickten sich zu. In seinem Haus musste alles in Ordnung sein.
Sage räusperte sich. „Ich begrüße euch zur Feier der Wintersonnenwende und es freut mich, dass ihr gekommen seid.“
Tom entdeckte zwei junge Männer, die etwas abseits, eingehüllt in Decken saßen und auf eine große Trommel schlugen.
Die ersten Sterne leuchteten am Himmel und Sage deutete hinauf. „Die Gestirne, die Jahreszeiten und die Lehren des Medizinrads führen uns durch das Leben. Wir heißen den Winter willkommen, Zeit der Erneuerung, der Ruhe und inneren Reinigung. Für tausende von Jahren ehren wir die wechselnden Jahreszeiten, diese natürlichen Zyklen und feiern sie in Zeremonien und Zusammenkünften, so wie heute Abend.“
Die Trommelschläge wurden lauter und ebbten wieder ab.
„Mit der Wintersonnenwende feiern wir die stärker werdende Sonne, der kürzeste Tag des Jahres bedeutet gleichzeitig, dass wir das wiederkehrende Licht begrüßen und willkommen heißen.
Monate mit kaltem Wetter liegen noch vor uns, bevor der Frühling Einzug hält, aber mit diesem Tag heute wissen wir, dass die Rückkehr der Wärme unaufhaltsam ist.“
Gesang erklang und Tom sah sich in der Menge um. Fünf Frauen hatten sich zusammengefunden und sangen eine eindringliche, kehlige Melodie. Die laut und wieder leiser werdenden Stimmen strömten wie Wasser über Kieselsteine, wirbelten auf, um einen Ton später sanft zu plätschern.
„Winter ist für unser Volk ein spiritueller Ahne.“ Sage beschrieb mit ausgestreckten Armen einen Kreis in der Luft. „Mutter Erde schläft, wir sollen die Zeitspanne nutzen, um über das vergangene Jahr zu reflektieren und uns mit Freude dem neuen Jahr zuzuwenden. Es ist die Zeit für Wünsche, wählt sie bedachtsam.“
Der Gesang und die Trommeln wurden lauter und Tom blickte sich in der Menge um. Die Gesichter der Menschen wirkten entspannt und fröhlich, sie umarmten sich und plauderten angeregt. Der Schein des Feuers legte sich über die Besucher.
„Hast du keine sehnlichsten Wünsche“, fragte Sage, die neben ihn getreten war. „Oder kannst du die Vergangenheit nicht loslassen, um Platz dafür zu schaffen?“
„Ich bin zu alt für Sehnsucht“, erwiderte er. „Tut mir leid.“
Sie schüttelte den Kopf. „Für Wünsche und Träume ist man nie zu alt, Tom Tenpenny.”
Ein kleiner Auszug aus dem Roman “Winterspuren in Arrowwood”