Buchgeplauder – Lesetipp indigene Autoren

Lesetipp indigene Autoren

Spätestens nachdem Kanada Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse 2020/2021 war, ist die Vielfalt der Literatur meiner Wahlheimat einem größeren Publikum bekannt. Indigene Autoren bereichern die Bücherwelt Kanadas in eindrücklicher Weise.

Eine meiner Lieblingsserie in der indigenen Literatur ist die Trickster Trilogie der Native Eden Robinson. Diese gibt es noch nicht in deutscher Übersetzung, aber falls ihr euch für englischsprachige fantastische Young Adult Literatur begeistern könnt, schaut euch die Trickster Trilogie unbedingt an.

Kleiner Exkurs: Das literarischen Bild, das viele Deutsche von den amerikanischen Ureinwohner haben, wurde von den Winnetou Büchern geprägt, die auf der ganzen Welt gelesen wurden. Hier in Kanada habe ich noch niemanden getroffen, der sie kennt. Die Romane wurden im ausgehenden 19.Jahrhundert von Karl May verfasst, der selbst nie in Amerika oder Kanada war. Die Geschichten um den fiktiven Apachen-Häuptling Winnetou und dem Ich-Erzähler Old Shatterhand wurden auf Basis der Bücher in den 1960er Jahren verfilmt und gelangten zu noch mehr Beliebtheit.
Wie wenig die Geschichten und das idealisierte einfache Leben im Einklang mit der Natur mit dem realen Leben der kanadischen Ureinwohner zu tun hatte, ist aber natürlich vielen Deutschen und Europäern mittlerweile bekannt.

Die zwei folgenden Lesetipps beleuchten das Leben der First Nations aus Sicht zweier indigener Autoren auf eine eindringliche, erschreckende aber auch gefühlvolle Weise.

Lesetipp - indigene Autoren

Naomi Fontaine-Die-kleine - Schule der Grossen Hoffnung

Die kleine Schule der großen Hoffnung von Naomi Fontaine

Verlag C. Bertelsmann, Übersetzer: Sonja Finck, 144 Seiten, erschienen am 14. Oktober 2021, ist als Taschenbuch erhältlich.

Die Autorin Naomi Fontaine ist Angehörige der Innu, früher Montagnais genannt, von Uashat, einem Innu-Reservat. Sie gilt als bekannteste First-Nation-Schriftstellerin des frankokanadischen Raumes. „Die kleine Schule der großen Hoffnung“ stand 2018 auf der Shortlist des kanadischen Literaturpreises und es ist ein eindringlicher Roman über das Heranwachsen im Hohen Norden Kanadas.

„Die kleine Schule der großen Hoffnung“ ist eine in Episoden verfasste Geschichte einer Schule.
Die junge Frau Yammie verlässt ihr Reservat, um Lehrerin zu werden. Als Lehrkraft kehrt sie motiviert aus Quebec zurück, aber auch unsicher, ob sie noch eine Innu ist, wie die indigene Bevölkerung im Norden des Staates Quebec genannt wird, oder durch die Ausbildung bereits zu einer “Weißen” geworden ist.

Als junge Lehrerin, kaum älter als ihre Schüler, kämpft sie den Jugendlichen, deren Zukunft von Alkohol und Depressionen geprägt ist, eine Perspektive zu geben.

Der beinahe romantische Titel wird dem Inhalt dieses schmalen Buches nicht gerecht. Fontaine beschönigt nichts, gibt in den kurzen Kapiteln Einblicke in den Alltag vor Ort, jedoch ohne ein pessimistisches Bild zu zeichnen.

In dem Buch geht es um Ängste, Sehnsüchte und Hoffnungen kanadischer Ureinwohner, wobei Themen wie Tod und Suizid nicht ausgelassen werden. Es wird nichts verharmlost oder verschwiegen.

Naomi Fontaine ist eine First-Nation-Autorin, die keine Klischees bedient, nicht belehrt oder romantisiert, sondern Gefühle von Entfremdung und Heimat der Ich-Erzählerin in eine fesselnde und dichte Geschichte packt, die mich tief berührt hat.

Richard Wagamese - Der gefrorene Himmel

Der gefrorene Himmel von Richard Wagamese

Aus dem Amerikanischen von Ingo Herzke, Originaltitel: Indian Horse, Originalverlag: Douglas & McIntyre, 256 Seiten, ist als Hardcover und e-Book erhältlich.

Richard Wagamese ist einer der bekanntesten Schriftsteller Kanadas mit indigenen Wurzeln. Er verstarb bereits 2017, in dem Jahr in dem „Der gefrorene Himmel“ in Kanada in die Kinos kam, nachdem das Buch 2013 den Burt Award for First Nations, Inuit and Métis Literature bekam.
Film: “Indian Horse”.

Im Original heißt der Roman “Indian Horse” und dieser Titel hätte nach Meinung vieler auch für die deutsche Übersetzung übernommen werden sollen. Erzählt Wagamese in seinem Roman “Der gefrorene Himmel” doch das Schicksal des indigenen Jungen Saul “Indian Horse”. Er steht im Mittelpunkt und in seinem Schicksal hallt die Geschichte eines Landes wider.

Das Edmonton Journal drückt in diesem Satz auch mein Leseerlebnis aus: »Ein Roman der seltensten Art – sowohl bedeutend als auch ein Lesevergnügen, das einem das Herz bis zum Hals schlagen lässt.«

Zunächst ist man als Leser verzaubert von den Erzählungen aus Sauls Kindheit mit den naturverbundenen Ältesten. Doch sehr schnell wird diese “Magie” von der Realität eingeholt. Richard Wagamese nimmt uns mit ins Kanada der 1960er und 70er Jahre, eine Zeit geprägt von der Unterdrückung der indigenen Bevölkerung. In diesem Roman verarbeitet Wagamese echte Geschichten aus seinem näheren Umfeld und die eines berühmten NHL Profis mit indigenen kanadischen Wurzeln: Fred Sasakamoose. Das Buch ist die Geschichte eines indigenen Jungens, Saul Indian Horse, der zunächst bei seiner Großmutter lebt, dann aber in der St. Jerome’s Residential School in Ontario landet.

Saul, die Hauptfigur, vom Volk der Ojibwe, wächst in einem staatlichen Heim auf – wie so viele Kinder indigener Herkunft. Der Strenge und der Kälte der Einrichtung kann Saul entfliehen, wenn er auf Schlittschuhen über das Eishockeyfeld fliegt. Sein ungeahntes Talent für das Spiel öffnet ihm einen Weg in die Freiheit. Diese Passagen des Buches sind voller Hoffnung, die der Leser aufsaugt und mit Saul auf eine bessere Zukunft hofft. Doch auch in der Welt des Eishockeys trifft ihn der Rassismus und er sucht Hilfe im Alkohol.

Und der dunklen Wahrheit, die Sauls Schulzeit überschattet, kann sich der Leser nicht entziehen. Er begleitet Saul auf der Suche nach einer Familie, nach Geborgenheit und dem kulturellen Erbe der Ojibwe.

Wagameses Schreibstil ist nüchtern und zugleich fesselnd. Die Geschichte geht unter die Haut, lässt den Leser verzweifeln an Sauls Schicksal, das exemplarisch für die vielen Kinder und Erwachsene, die unter dem System der Residential Schools zu leiden hatten und es noch heute tun, steht.

Wagamese erzählt die Geschichte nicht mit einem vorwurfsvollen Ton, es ist keine Verbitterung, die zwischen den Zeilen steht, sondern die sorgsam gewählten Worte vermitteln eher Wagameses Traurigkeit, dass es zu all dem kommen konnte. Ein starker Roman der unter die Haut geht und im Gedächtnis bleibt.

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4 Comments

  1. Kathy sagt:

    Great book tips, thanks for sharing. I will look up your first two book tips. And the third one, Indian Horse, I read and saw the movie as well , book and movie go deep into one’s soul.

  2. Steffi sagt:

    Liebe Natascha, mit großem Interesse habe ich Deine Buchbesprechungen gelesen und freue mich auf die Lektüre! Danke!

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