Die letzten drei Lehren der Großväter

Aufrichtig Leben

Aufrichtig leben: Ehrlichkeit, Demut und Wahrheit

Die ersten vier Lehren der Seven Grandfather Teachings, Weisheit, Liebe, Respekt und Mut, richten sich nach außen. Sie betreffen unser Handeln, unsere Beziehungen, unsere Haltung gegenüber der Welt. In diesem letzten Teil der Reihe gehen wir nun einen Schritt weiter: nach innen.

Die drei verbleibenden Werte, Ehrlichkeit, Demut und Wahrheit, sind nicht lauter, aber leiser. Nicht leichter, aber ehrlicher. Sie fordern uns auf, uns selbst zu begegnen. Ohne Ausflüchte. Ohne Rollen. Sie stellen uns eine einfache, aber tiefgreifende Frage:

Lebe ich im Einklang mit mir selbst?

Es ist eine Frage, die weh tun kann. Die einen länger beschäftigen und vielleicht unruhig werden lässt. Und es gibt darauf keine schnellen Antworten, aber das ist gut so. Denn ich glaube: Gerade das Auseinandersetzen mit dieser Frage ist der erste Schritt zu einem Leben, in dem man mit sich im Reinen ist. Oder beginnt es zu sein.

In meinem aktuellen Romanprojekt Herbstweiden in Arrowwood (erscheint im September 2025) stehen meine beiden Hauptfiguren, Kateri und Clayton, genau an diesem Punkt. Sie kommen aus sehr unterschiedlichen Welten, finden sich beide an einer Weggabelung ihres Lebens und müssen sich entscheiden, welche Richtung sie einschlagen wollen.

Vielleicht findest auch du in diesen drei Teachings eine Einladung. Nicht zum Perfekt-Sein, sondern zum Wahrhaftig-Sein.

Aufrichtig Leben

Ehrlichkeit – Gwayakwaadiziwin

Ehrlichkeit, das klingt zunächst einfach: die Wahrheit sagen, keine Lügen erzählen. Doch Gwayakwaadiziwin meint mehr als das. In der Welt der Anishinaabe ist Ehrlichkeit kein Verhalten, sondern eine Haltung. Es geht nicht nur darum, was du sagst, sondern darum, wer du bist, wenn niemand hinschaut.

Ehrlich zu sein heißt, in Übereinstimmung mit deinem inneren Wissen zu leben. Nicht eine Rolle zu spielen, sondern das zu verkörpern, was in dir wahr ist auch wenn es unbequem ist. Auch wenn es dich verletzlich macht.

Das Tier, das in manchen Überlieferungen für diese Lehre steht, ist der Rabe. In anderen Traditionen ist es der geheimnisvolle Sasquatch, ein Wesen, das nicht gesehen werden muss, um wahr zu sein. Beide Symbole tragen in sich etwas Wildes, Unabhängiges und eine tiefe Klarheit. Sie erinnern uns: Ehrlichkeit ist keine Angepasstheit, sondern Klarheit im Inneren.

„Be honest with yourself before you can be honest with others.“

Gwayakwaadiziwin fordert uns auf, uns selbst nicht zu täuschen. Es beginnt mit den kleinen Dingen: mit dem Eingeständnis, dass man etwas nicht kann. Mit dem Mut, eigene Fehler nicht zu verstecken. Mit der Bereitschaft, nicht perfekt zu erscheinen, sondern echt zu sein.

Im Leben meiner Romanfigur Kateri spielt Ehrlichkeit eine zentrale Rolle, nicht gegenüber anderen, sondern gegenüber sich selbst. Sie ist es gewohnt, Erwartungen zu erfüllen, um das Erbe ihrer Eltern und ihre Cree-Wurzeln zu ehren. Doch was passiert, wenn sie innehält und sich fragt, für was und wen ihr Herz wirklich schlägt?

Ehrlichkeit kann ein sanftes Aufbrechen sein. Oder ein Sturm. Aber sie bringt uns immer näher zu dem, was wir wirklich sind.

Aufrichtig Leben

Demut – Dabaadendiziwin

Demut ist ein stiller Wert. Einer, der selten laut wird und doch alles verändert, wenn man ihm Raum gibt. In der Anishinaabe-Lehre bedeutet Dabaadendiziwin: Erkenne deinen Platz im großen Ganzen, nicht höher, nicht tiefer, sondern verbunden.

Demut ist keine Selbsterniedrigung. Sie ist nicht das Kleinmachen des eigenen Lichts. Sie ist das Wissen: Ich bin nicht das Zentrum der Welt, aber ich gehöre dazu. Sie ist eine innere Haltung der Balance zwischen Selbstachtung und Bescheidenheit.

Der Wolf steht für diese Lehre. Er lebt im Rudel, ist loyal, klug und dient dem Kollektiv. Der Wolf weiß, wann er führt, und wann er folgt. Wann er für andere kämpft, und wann er sich zurücknimmt. Er erinnert uns daran: Wahre Stärke zeigt sich im Dienst, nicht in der Selbstdarstellung.

„To be humble is to know that we are all equal.“

Dabaadendiziwin zeigt sich oft in Momenten, in denen wir aufhören, uns beweisen zu müssen. Wenn wir zuhören, statt zu sprechen. Wenn wir anderen Raum geben. Wenn wir es uns erlauben, nicht alles zu wissen und trotzdem würdevoll zu sein.

Im Alltag erleben wir Demut vielleicht, wenn uns die Natur die Sprache verschlägt. Wenn wir am Rand eines Sees stehen, der älter ist als jedes Menschenleben. Oder wenn uns ein Kind eine Wahrheit sagt, die wir längst vergessen haben.

Demut ist nicht das Ende der Selbstwirksamkeit. Sie ist ihr Anfang in Verbindung mit allem Leben.

Aufrichtig Leben

Wahrheit – Debwewin

Debwewin, Wahrheit, ist das siebte und abschließende Teaching. Es ist kein Zufall, dass es am Ende steht, denn in ihm bündeln sich alle anderen Lehren. Wahrheit ist nicht einfach ein Fakt. Sie ist ein Zustand. Ein Sein.

In der Anishinaabe-Tradition bedeutet Debwewin: Lebe im Einklang mit deiner inneren Wahrheit.

Nicht mit dem, was andere sehen wollen. Nicht mit dem, was bequem ist. Sondern mit dem, was in deinem Inneren als echt und stimmig spürbar wird.

Die Schildkröte steht symbolisch für diese Lehre. Sie trägt ihr Zuhause auf dem Rücken, sie hat nichts zu verstecken. Sie bewegt sich langsam, aber beständig. Immer in Verbindung mit der Erde. In vielen indigenen Kulturen gilt die Schildkröte als Urträgerin des Kontinents, als Symbol für das Leben selbst.

„Truth is to know all of these things..“

Wahrheit entsteht, wenn wir beginnen, die anderen sechs Teachings zu leben: Weisheit mit Liebe, Respekt mit Mut, Ehrlichkeit und Demut. Nur dann sind wir in der Lage, unser Leben als stimmig zu empfinden.

Debwewin bedeutet nicht, dass wir nie irren. Es bedeutet, dass wir nicht gegen uns selbst leben. Dass unser Handeln, Fühlen und Denken in einer Linie liegen. Dass wir uns nicht verbiegen, um dazuzugehören, sondern uns einfügen, ohne uns zu verlieren.

In Herbstweiden in Arrowwood geht es am Ende genau darum: um Wahrheit, die nicht laut daherkommt, sondern aus dem Inneren wächst. Clayton wird durch eine unerwartete Wendung gezwungen , sich seiner Furcht vor seiner Wahrheit zu stellen. Er muss den Mut finden, mit seinen Schatten zu leben, und aufhören, sich zu verstecken.

Wahrheit ist nicht das Ziel. Sie ist der Weg, wenn wir bereit sind, ihn aufrichtig zu gehen.

Aufrichtig Leben

Der Kreis schließt sich

Mit diesen letzten drei Lehren, Ehrlichkeit, Demut und Wahrheit, endet unsere gemeinsame Reise durch die Seven Grandfather Teachings. Und doch ist es kein wirkliches Ende. Denn diese Werte sind nicht dazu da, abgehakt oder „verstanden“ zu werden. Sie wollen gelebt werden. Im Alltag. In kleinen Schritten. Immer wieder neu.

Wenn man sie betrachtet, einzeln oder zusammen, spürt man schnell: Sie sind kein Regelwerk. Sie sind ein Kompass. Und vielleicht ist das Wichtigste daran nicht, perfekt nach ihnen zu leben, sondern den eigenen Weg im Spiegel dieser Werte zu hinterfragen.

  • Wo handelst du aus Weisheit und wo vielleicht nur aus Gewohnheit?
  • Wo zeigt sich Liebe in deinem Leben, auch in ungewohnter Form?
  • Wem oder was begegnest du mit echtem Respekt
  • Wann hast du zuletzt Mut gezeigt oder gebraucht?
  • Kannst du ehrlich zu dir selbst sein?
  • Wie fühlt sich Demut an, ohne dich klein zu machen?
  • Und: Was ist deine Wahrheit?

Vielleicht möchtest du die sieben Teachings als Wegbegleiter mitnehmen. Vielleicht wirst du in Zukunft bei Entscheidungen, Gesprächen oder Begegnungen einen dieser Werte still in deinem Inneren aufrufen, als Frage, als Prüfstein, als Erinnerung.

Ich hoffe, diese Blogreihe konnte dir einen Einblick geben in eine indigene Weisheit, die zeitlos ist und zugleich sehr gegenwärtig. Ich danke dir fürs Mitlesen, Mitdenken und Mitfühlen.

Wenn du magst, teile deine Gedanken mit mir in den Kommentaren, per Nachricht oder einfach im Stillen, für dich.

Ich wünsche dir einen Weg, der nicht perfekt sein muss. Nur ehrlich. Und wahrhaftig.

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